Angesichts der zunehmenden Rohstoffverknappung und ‑verteuerung sowie den immer deutlicher hervortretenden Folgen der Klimaerwärmung entwickeln Wissenschaft, Industrie, Politik und Gesellschaft gemeinsam Strategien für den Strukturwandel von einer fossil- zu einer biobasierten Wirtschaft (Bioökonomie). Dies gilt auch für die Chemieproduktion. Darin gehen zwar nur etwa 8 % der gesamten Erdölproduktion ein, jedoch werden auch hier Vorteile in einem höheren Anteil nachwachsender Rohstoffe gesehen. Zu diesen Vorteilen zählen neben der Verringerung des CO2-Ausstoßes aus fossilen Quellen und der Bereitstellung komplexer Strukturen, wie sie die Syntheseleitung der Natur hervorbringt, auch die höhere Verbraucherakzeptanz biobasierter Produkte. Voraussetzung sind konkurrenzfähige Preise und ein mindestens analoges Eigenschaftsprofil, was eine hohe Rohstoff- und Prozesseffizienz voraussetzt. Beispiele hierfür sind Kunststoffe, ebenso biobasierte Lösungsmittel, Tenside und Schmierstoffe, bei denen zusätzlich die Vermeidung schädlicher Emissionen und die biologische Abbaubarkeit im Vordergrund stehen. Auch die REACH-Regularien können zu einem stärkeren Einsatz biobasierter Komponenten in der chemischen Industrie führen.
Biobasierte Polymere
2010 wurden nach Angaben des Verbands Plastics Europe weltweit rund 265 Mio. Tonnen Kunststoffe produziert, das entspricht rund 6 % des Gesamtrohölverbrauchs von knapp 4 Mrd. Tonnen (BP Statistical Review of World Energy 2011). Auf der anderen Seite wurden im selben Jahr nur 0,7 Mio. Tonnen Biokunststoffe erzeugt. Allerdings sind die prognostizierten Wachstumsraten enorm: Bis 2015, so aktuelle Schätzungen, die Hans-Josef Endres (FH Hannover, IfBB — IBB Netzwerkmitglied) in einem Vortrag im November 2011 präsentierte, steigt dieser Anteil auf 1,7 Mio. Tonnen, was einem jährlichen Zuwachs von knapp 20 % entspricht. Biokunststoffe stellen dabei allerdings eine heterogene Gruppe dar, zu der sowohl biobasierte als auch fossil-basierte Kunststoffe zählen, sofern diese biologisch abbaubar sind. Die klassischen biologisch abbaubaren Kunststoffe werden auf Basis der natürlichen Polymere Cellulose und Stärke erzeugt. In den 1990er Jahren kam dann das von Bakterien als Speicherstoff genutzte thermoplastische Polymer Polyhydroxybuttersäure unter dem Handelsnamen BIOPOL auf den Markt. Dies war das erste Bio-Polymer, das als kompostierbare Alternative zu PE im Verpackungsbereich verwendet wurde. In den letzten Jahren hat sich allerdings der Trend durchgesetzt, nicht mehr die biologisch erzeugten Polymere direkt zu nutzen, sondern biotechnologisch oder chemisch Monomere aus nachwachsenden Rohstoffen zu gewinnen, die entweder als Basis neuartiger (funktionsanaloger) oder herkömmlicher (strukturanaloger) Polymere dienen. Der zurzeit populärste Vertreter der funktionsanalogen biobasierten Kunststoffe ist Polylactid (PLA). PLA hat ähnliche Eigenschaften wie konventionelle thermoplastische Massenkunststoffe und kann deshalb auch in vorhandenen Anlagen verarbeitet werden. Dank seiner Kompostierbarkeit hat der Rohstoff vor allem für kurzlebige Verpackungen wie Getränkebecher oder Nahrungsmittelschalen großes Potenzial. Ein Nachteil von PLA ist aber sein niedriger Schmelzpunkt, so dass es nicht für Waren geeignet ist, die Hitze ausgesetzt werden. Der Lactid-Polyester wird durch die Kombination biotechnologischer und chemischer Schritte erzeugt. Durch Fermentation von Zucker oder Stärke entsteht Milchsäure, die durch chemische Prozesse erst zu Lactid dimerisiert wird. Anschließend wird Lactid unter Ringöffnung des Monomers polymerisiert. PLA wird seit 1994 industriell hergestellt und hat 2010 eine weltweite Produktionskapazität von über 110.000 Jahrestonnen erreicht. Anlagen stehen in den USA, den Niederlanden und in China. Weitere Anlagen sind z. B. in Thailand geplant. Bis 2015 wird sich die Produktionskapazität nach Angaben von Hans-Josef Endres (Institut für Biokunststoffe und Bioverbundwerkstoffe, FH Hannover) verdoppeln. Obwohl PLA durch seine biologische Grundlage eine gute Umweltverträglichkeit aufweist, lässt sich diese durch die Schaffung einer Infrastruktur zum Recycling oder Kompostieren des Biokunststoffs noch enorm verbessern. Daran wird intensiv geforscht. Derzeit bleibt aus logistischen Gründen aber nur die Verbrennung. Ein ganz anderer Weg wird mit der Erzeugung biobasierten Polyethlens (PE) gegangen. Polyethylen ist nicht biologisch abbaubar. Dafür existieren — zumindest in Europa — bereits etablierte Recyclingmöglichkeiten. Durch die Produktion der chemischen Plattformchemikalie Ethylen aus nachwachsenden Rohstoffen können die bestehenden Wertschöpfungsketten von der Produktion verschiedener Kunststoffe bis zum jeweiligen End-of-Life-Scenario genutzt werden. Seit Ende 2010 produziert Braskem in Brasilien 200.000 Tonnen des biobasierten struktur-analogen Kunststoffs auf Basis von Bioethanol. Zwei weitere PE-Anlagen sowie Anlagen zur Produktion von Polypropylen und PVC sind für 2015 angekündigt. Die PE-Produktionskapazität wird sich damit auch verdoppeln. Laut der Studie “World Bioplastics”, die von der Freedonia Group 2011 veröffentlicht wurde, wird Ende dieser Dekade in Brasilien auch die industrielle Produktion von vollständig biobasiertem PET erwartet. Der höhere Funktionalisierungsgrad (Alkohol- bzw. Säuregruppen) biobasierter Monomere gegenüber fossilen Ausgangsstoffen kann gezielt in unterschiedlichen Kunststoffanwendungen genutzt werden. Einige Beispiele: Biologisch erzeugte Dicarbonsäuren (Bernsteinsäure) und Polyole (Rizinusöl, 1,3‑Propandiol) werden in biobasierten Polyestern, letztere auch in Polyurethanen eingesetzt. Aus Milchsäure lässt sich durch Dehydrierung Acrylsäure darstellen, das Monomer der Polyacrylsäure. Weitere Polyacrylate lassen sich aus der Veresterung der Acrylsäure mit Rizinusöl oder epoxidierten Pflanzenölen erzeugen. Butadien, das als Grundbaustein von Kautschuk dienen kann, lässt sich aus Ethanol darstellen. Derivate des Rizinusöls werden in Polyamiden eingesetzt. Viele der hier genannten Beispiele bewegen sich als Feinchemikalien noch in Nischenmärkten, die einen höheren Produktpreis aus nachwachsenden Rohstoffen über spezielle Funktionalitäten als Alleinstellungsmerkmal rechtfertigen. Das können neben der biologischen Abbaubarkeit auch oberflächenspezifische Merkmale sein (z. B. verminderte Schaumbildung in Getränkebechern, wie im Falle von PLA). Eine weitere Marktdurchdringung hängt nicht allein von Herstellpreisen und Verfügbarkeit ab, sondern auch von der Schließung der Stoffkreisläufe für eine ressourceneffiziente Bereitstellung (und Nutzung…).
Biobasierte Schmierstoffe
Nach Angaben, die die Freedonia Group in der Studie “World Lubricants” aus dem Jahr 2011 machte, lag der weltweite Bedarf an Schmierstoffen 2010 bei 36,7 Mio. Tonnen. Bis 2015 wird der Bedarf auf ca. 42 Mio. Tonnen ansteigen. In Deutschland werden laut der Fachagentur Nachwachsende Rohstoffe (FNR) jährlich etwas über 1 Mio. Tonnen Schmierstoffe eingesetzt, davon ca. 3 % (35.000 Tonnen) Bioschmierstoffe. Bioschmierstoffe sind aber nicht mit biobasierten Schmierstoffen gleichzusetzen. Begrifflich werden darunter alle Schmierstoffe subsummiert, die biologisch schnell abbaubar sind, unabhängig davon, ob sie aus Mineralöl, Recycling-Öl, synthetisch formuliert oder biobasiert hergestellt sind. Aufgrund dieser Begrifflichkeit sind Einsatz und Mengen biobasierter Schmierstoffe nicht getrennt erfasst. Einer weiten Verbreitung von Bioschmierstoffen steht (noch) der Preis entgegen, der laut einer Marktanalyse von Global Industry Analysts um den Faktor zwei bis drei über den jeweiligen konventionellen Schmierstoffen liegt. Biobasierte Schmierstoffe werden im Gegensatz zu petrobasierten Schmierstoffen generell aus Pflanzenölen hergestellt. Je nach Anforderung werden diese teilweise in nativer Form verwendet (natürliche Ester), teilweise erfolgt eine chemische Modifizierung (synthetische Ester). Das Anwendungsspektrum der biobasierten Schmierstoffe deckt bereits die gesamte Palette konventioneller Schmierstoffe ab und reicht damit von Hydraulikölen, Multifunktionsölen, Motoren- oder Getriebeölen, Schmierölen und Fetten bis zu Spezialölen, wobei der biogene Gehalt nach Empfehlung des Europäischen Komitees für Normung (CEN) mehr als 25 % betragen sollte (CEN Technical Report 16227). Aufgrund ihrer guten Haltbarkeit, ihrer geringen Toxizität und ihrer schnellen biologischen Abbaubarkeit sind biobasierte Schmierstoffe gerade für den Einsatz in umweltsensiblen Bereichen interessant. Eine spezielle Herausforderung stellt der Offshore-Bereich zur Erzeugung von Windenergie dar. Obwohl noch Gegenstand von Forschung und Entwicklung, gibt es bereits vielversprechende Ergebnisse, die für den Einsatz von biobasierten Schmierstoffen in Windenergieanlagen sprechen: Biobasierte Schmierstoffe besitzen von Natur aus ein höheres Schmiervermögen als vergleichbare mineralölbasierte Produkte. Sie beeinflussen den Anlagenbetrieb in vielerlei Hinsicht positiv und zeichnen sich durch eine gute Handhabbarkeit und eine bessere Filtrierbarkeit aus. In einem neuen Forschungsprojekt (WinLub II) werden Eignungs- und Verträglichkeitsuntersuchungen von biobasierten Schmierfetten und Hydraulikölen bei den führenden Herstellern von Anlagenkomponenten unter der Leitung der Fuchs Europe Schmierstoffe GmbH durchgeführt.
Biobasierte Lösungsmittel
Der globale Lösungsmittel-Markt wird vom Fraunhofer Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) in einer Analyse für das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) auf rund 19,7 Mio. Tonnen pro Jahr geschätzt. Mindestens 12,5 Prozent des gesamten Lösungsmittelmarktes könnten aus pflanzlichen Rohstoffen hergestellt werden, doch bisher sind weniger als 1,5 Prozent erreicht worden. Lösungsmittel sind Flüssigkeiten, die andere Substanzen auflösen, verdünnen oder extrahieren können, ohne dass sich die chemische Zusammensetzung der Substanzen oder des Lösungsmittels selber ändern. Lösungsmittel zählen zu den Gruppen aromatische und aliphatische Kohlenwasserstoffe, Alkohole, Ketone, Ester, Ether, Glykolether und halogenierte Kohlenwasserstoffe. Die Produktion der meisten Lösungsmittel erfolgt hauptsächlich ausgehend von fossilen Rohstoffen. Aus Gründen der Nachhaltigkeit und des Umweltschutzes erwartet man, dass sich das Spektrum hin zu den biobasierten Lösungsmitteln verändern wird. Neue biobasierte Lösungsmittel sind z. B. Fettsäuremethylester, die auch als Biodiesel Verwendung finden, sowie Ester der Milchsäure mit Methanol (Methyllactat) oder Ethanol (Ethyllactat), aber auch Naturstoffe wie D‑Limonen, das aus Schalen von Citrusfrüchten extrahiert wird. Ein anderer Trend ist es, konventionelle organische Lösungsmittel durch biogene zu ersetzen. Ein Beispiel hierfür ist die Umwandlung von biobasierter Bernsteinsäure oder Furfural (als Nebenprodukt der Zellstoffindustrie) in Tetrahydrofuran (THF).
Biobasierte Tenside
Biobasierte Tenside sind eine Gruppe von oberflächenaktiven Molekülen, die entweder durch mikrobielle Fermentation oder durch enzymkatalysierte Reaktionen hergestellt werden. Ihr weltweites Produktionsvolumen beträgt nach Angaben des Fraunhofer ISI rund 17 Mio. Tonnen. Tenside bestehen in der Regel aus einem hydrophoben und einem hydrophilen Teil. Im Fall von biobasierten Tensiden stammt mindestens einer dieser beiden Teile aus nachwachsenden Rohstoffen. Der biobasierte hydrophobe Teil der Tenside wird gewöhnlich aus Kokosnussöl oder Palmkernöl hergestellt, ein biobasierter hydrophiler Teil aus Kohlenhydraten wie Sorbitol, Saccharose oder Glucose. Der Einsatz tierischer Fette ist stark rückläufig. Der Markt für biobasierte Tenside hingegen wächst. Spezifische Anwendungen für Biotenside ergeben sich wegen ihrer biologischen Abbaubarkeit und ihrer geringen oder nicht vorhandenen Toxizität in der Farben‑, Kosmetik‑, Textil‑, Agro‑, Lebensmittel- und pharmazeutischen Industrie. Als Emulgiermittel werden sie im Bergbau und in der Erzaufbereitung, zur verbesserten Erdölgewinnung und biologischen Sanierung kontaminierter Standorte eingesetzt.
Ausblick
Der Trend geht vor dem eingangs geschilderten Hintergrund ganz klar zum verstärkten Einsatz biobasierter Produkte. Es ist nicht die Frage, ob der Rohstoffwandel in der chemischen Industrie Einzug hält, sondern wann dieser vollzogen sein wird. Da Tenside schon sehr lange aus biologischen Rohstoffen hergestellt werden, wird hier der Wandel verhältnismäßig leicht fallen — sofern adäquate biobasierte Alternativen verfügbar sind. Im Kunststoffbereich ist abzusehen, dass vorerst nicht die Umweltschutzkriterien Haupttreiber für biobasierte Alternativen sein werden, sondern die einfache Substitution der Rohstoffbasis, wie im Falle von PE und anderen vom Ethylen abgeleiteten Kunststoffen. Allerdings wird die Verfügbarkeit von Ethylen aus Ethanol limitierend sein. Alleine für die Substitution der in Deutschland jährlich verbrauchten 5 Mio. Tonnen Ethylen werden 8,5 Mio. Tonnen Bioethanol benötigt, was dem zehnfachen der deutschen Produktionskapazität für Bioethanol entspricht. (Die Trendberichte werden von internationalen Fachjournalisten zusammengestellt. Die DECHEMA ist nicht verantwortlich für unvollständige oder falsche Informationen.) Quelle: ACHEMA online / DECHEMA