Nach Bundesentwicklungsminister Niebel (FDP) fordern jetzt auch die Grünen, Greenpeace und Verbraucherorganisationen ein Umdenken bei der Bioenergie-Strategie in Deutschland. “Generell ist Biosprit ein Irrweg, sowohl in Deutschland als auch in den USA, wo bereits rund 40 Prozent der Maisernte für die Ethanolproduktion verwendet werden”, sagte der Geschäftsführer der Verbraucherorganisation Foodwatch, Thilo Bode, der Deutschen Presse-Agentur. Greenpeace-Agrarexperte Martin Hofstetter sagte mit Blick auf ein E10-Aus: “Angesichts der weltweiten Getreideknappheit macht so ein Schritt Sinn”. Auch der Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND) ist für einen Stopp des Sprits mit zehn Prozent Ethanol. Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) lässt bisher aber nicht erkennen, dass er eine Abkehr plant. Foodwatch-Geschäftsführer Bode forderte ein Aus für Bioenergie-Subventionen. “Das würde ja alles gar nicht vonstattengehen, wenn der Steuerzahler nicht zur Kasse gebeten würde, um diese Aktivitäten zu subventionieren.” Das Ganze sei “eine Subvention für die Agrarlobby und eine Beruhigungspille für die Autolobby”. In Deutschland komme als Problem der massive Maisanbau für tausende Biogasanlagen hinzu. Auch der angebliche Klimaschutznutzen sei inzwischen klar widerlegt. Die 2011 erfolgte Einführung von E10 geht auf EU-Vorgaben zurück. Die Regierung will durch die Beimischung von Etahanol aus Getreide, Raps und Rüben die Biokraftstoffquote von derzeit 6,25 Prozent erfüllen. Altmaier ging in der “Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung” (“FAS”) nicht näher auf die E10-Forderungen ein, betonte aber, dass Bioenergie, besonders Biomasse, für die Strom- und Wärmegewinnung in Biogasanlagen, sinnvoll sei. Diese sei “ein sehr vielseitiger und zuverlässiger erneuerbarer Energieträger”, der eine wichtige Rolle für die künftige Energieversorgung spielen werde. FDP-Generalsekretär Patrick Döring äußerte sich wie zuvor Minister Niebel kritisch zum massiven Anbau von Energiepflanzen. “Dass wir wertvolles Ackerland mit Pflanzen bebauen, aus denen Biosprit und Biogas hergestellt werden, ist weder sinnvoll noch nachhaltig”, sagte er der “FAS”. Unionsfraktions-Vize Michael Fuchs pflichtete dem im “Spiegel” bei: “Es kann nicht sein, dass Menschen in vielen Teilen der Welt Hunger leiden, und wir verfeuern gleichzeitig Biomasse, um damit wenig effiziente Energie herzustellen.” Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kritisierte, dass “mit öffentlichen Geldern Monokultur und Raubbau gefördert werden”. Alle staatlichen Anreize für den Maisanbau seien abzuschaffen. Der Anbau von Lebensmitteln müsse Vorrang vor der Energiegewinnung haben. Greenpeace verweist darauf, dass in Deutschland jährlich aus etwa 1,5 Millionen Tonnen Getreide Ethanol hergestellt werde. Zusätzlich importiere Deutschland rund die Hälfte des eingesetzten Ethanols aus dem Ausland: “Insofern entlastet tatsächlich ein E10-Verbot den Getreidemarkt”, sagte Hofstetter. Die weltweiten Vorräte an Getreide seien auf 100 Millionen Tonnen geschmolzen. Weltweit aber würden 150 Millionen Tonnen Getreide jährlich zu Ethanol verarbeitet. Ohne die Ethanol-Erzeugung wären die Lager gut gefüllt, sagte Hofstetter. Bäckereien gehen auch für Deutschland von steigenden Preisen aus. Auch die Verbraucherzentrale Bundesverband sieht E10 als gescheitert an. “E10 hat nie funktioniert”, sagte Verkehrsreferent Otmar Lell der dpa. Sinnvoller sei es, die CO2-Grenzwerte für Autos zu verschärfen. Mittelfristig führe kein Weg an Elektroautos vorbei. Das katholische Hilfswerk Misereor erklärte: “Biosprit muss abgeschafft werden, denn er verschärft den Hunger in der Welt.” In der “Bild am Sonntag” betonte Hauptgeschäftsführer Pirmin Spiegel: “Zum Einen steigen die Preise für Grundnahrungsmittel, wenn wir Mais, Weizen oder Rohrzucker in den Tank kippen. Werden die Lebensmittel zu teuer, hungern Menschen in Kenia oder El Salvador. Zum Anderen werden Bauern in Afrika und Asien von ihrem Land vertrieben, um Platz für neue Biospritplantagen zu schaffen.” Als Alternative zum Biosprit fordert Greenpeace strengere CO2-Grenzwerte und sparsamere Autos. Gerade deutsche Autobauer setzten immer noch auf viel zu schwere, übermotorisierte Modelle. Daher müsse die EU schärfere Grenzwerte für den Flottenverbrauch vorschreiben. Außerdem müsse ein Tempolimit her. Die Welthungerhilfe in Bonn äußert sich kritisch zum Vorstoß des Entwicklungsministers. “Die Forderung Dirk Niebel zu einem Verbot von E10 hilft kurzfristig keinem Hungernden in der Welt”, erklärt Pressesprecher Marc Groß. “Wir begrüßen, dass jetzt eine Diskussion angestoßen wurde, aber das Problem Hunger ist so komplex und hängt von so vielen Faktoren ab, da ist E10 nur ein kleines Problem”, teilte Groß auf Anfrage der Nachrichtenagentur dpa mit. (dpa)
Sichtweise 2:
Einen Verkaufsstopp für den Biotreibstoff E10 aufgrund steigender Agrarpreise und Dürren fordert Entwicklungsminister Dirk Niebel an deutschen Tankstellen. Diese Forderung wird vom Bundesverband der deutschen Bioethanolwirtschaft (BDBe) entschieden zurück gewiesen. Der BDBe stellt klar: Deutsches Bioethanol werde nicht aus Brotgetreide, sondern mit Industrierüben und Futtergetreide hergestellt. Die Einführung von E10 verlaufe weitaus besser als jene des bleifreien Benzines. Weiters sei Bioethanol ein wichtiger Faktor im Kampf gegen den Klimawandel. “Gerade bei steigenden Lebensmittelpreisen kann Biosprit zu stärkerem Hunger in der Welt beitragen “, hatte Niebel in einem Interview behauptet. Im Kabinett müsse darüber nachgedacht werden, “ob man nicht den Konflikt zwischen Tank und Teller auflösen kann”. Richtig ist laut BDBe jedoch, “dass bei der europäischen Bioethanolproduktion keine Rohstoffe aus Drittländern importiert werden. Darüber hinaus ist die vermeintliche Konkurrenz zwischen der Erzeugung von Lebens- und Futtermitteln sowie der Produktion von Biokraftstoffen in Europa nicht vorhanden. In Europa wird ein integriertes Konzept zur Produktion von Lebens- und Futtermitteln sowie Biokraftstoffen praktiziert. Das heißt, dass bei der Bioethanolproduktion zahlreiche hochwertige Kuppelprodukte anfallen, die beispielsweise Futtermittelimporte wie Soja reduzieren und somit Flächen für andere Verwendungszwecke freisetzen “, stellt der Verband fest.
Deutsches Bioethanol nicht aus Nahrungsmitteln hergestellt
Weiters erklärt der BDBe, dass “deutsches Bioethanol nicht aus Nahrungsmitteln hergestellt wird, sondern nur aus Industrierüben und Getreide mit Futtermittelqualität “. Für den Anbau von Rohstoffen zur Bioethanolerzeugung einschließlich der zahlreichen Kuppelprodukte wie Futtermittel, Biogas und Biodünger seien im Jahr 2011 in Deutschland 240.000 ha genutzt worden. Dies entspreche lediglich 2% der deutschen Ackerfläche, informiert der BDBe.
Einführung von E10 läuft weitaus besser als jene von bleifreiem Benzin
Zu der Aussage von Niebel, E10 sei “in Deutschland sowieso nie akzeptiert worden “, stellt der Verband folgendes fest: “Richtig ist, dass die Einführung von Super E10 weitaus besser verläuft als in den 1980er-Jahren die Einführung bleifreien Benzins. Bei E10 ist nach einem Jahr ein Marktanteil von gut 13% erreicht. Die Tendenz ist weiter steigend: Im April 2012 erreichte E10 bei den Ottokraftstoffen einen Anteil von 15,4%. Bleifreies Benzin hatte zwei Jahre nach der Einführung nur knapp 10% Marktanteil verzeichnet und es dauerte zehn Jahre, bis es als Standardsorte etabliert war.” Bioethanol sei für die Ziele der EU zur Treibhausgasminderung bei Pkw bis zum Jahr 2020 ein zentraler Baustein, erklärt der BDBe. Grund für die Einführung war die Umsetzung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie der EU. Deutschland war Vorreiter bei der Umsetzung: Die strengen gesetzlichen Bestimmungen zur Erfüllung von Nachhaltigkeitskriterien sind sehr schnell eingeführt worden. Nach dieser Richtlinie dürfen nur Biokraftstoffe vertrieben werden, die entlang ihrer gesamten Produktionskette mindestens 35% weniger Treibhausgase ausstoßen als ein fossiler Kraftstoff. “Deutsches Bioethanol aus Futtergetreide und Industrierüben übertrifft diesen Mindestwert bei Weitem und hat sogar noch Potenzial — in modernen Benzinmotoren sogar darüber hinaus -, die Treibhausgasminderung auf bis zu 70% zu steigern”, informiert der Verband. (AIZ)