Fraunhofer und Continental bringen zusammen den Löwenzahn-Kautschuk auf die Straße
14.10.2013
Das gemeinsame Projekt startete offiziell Anfang Oktober. Ziel ist es, in den nächsten fünf Jahren den Produktionsprozess so weiter zu entwickeln, dass Continental aus Löwenzahn-Kautschuk Reifen herstellen kann. Dafür bauen die Molekularbiologen des IME und die Forschungsabteilung des Automobilzulieferers eine Pilotanlage in Münster, die in der Lage ist, Naturkautschuk im Tonnenmaßstab zu produzieren. Gleichzeitig werden mehrere Hektar einer besonders kautschukhaltigen Löwenzahnsorte angebaut. Um den Rohstoffgehalt und die Blüteeigenschaften zu optimieren, züchten die Forscher parallel dazu neue Sorten, die einen höheren Kautschukanteil und Biomasseertrag aufweisen. Die ersten Testreifen mit Gummi-Mischungen aus Löwenzahn-Kautschuk sollen bereits in den kommenden Jahren auf öffentlichen Straßen erprobt werden. Das darin enthaltene Naturprodukt weist die gleiche Qualität auf wie der bisher für die Reifenproduktion verwendete, aus subtropischen Ländern importierte Kautschuk des Gummibaums. Im Vergleich zu diesem kann er jedoch günstiger geerntet, besser gezüchtet und in Deutschland als nachwachsender Rohstoff angebaut werden – auch auf für bisherige Nutzpflanzen nicht geeigneten Flächen. »Durch modernste Züchtungsmethoden und anlagentechnische Optimierung ist es uns gelungen, hochwertigen Naturkautschuk aus Löwenzahn im Labor herzustellen. Jetzt ist die Zeit reif, diese Technologie über den Pilotmaßstab zur industriellen Reife zu bringen. Mit Continental haben wir einen kompetenten Partner gefunden, mit dem wir das nun für die Produktion von Reifen schaffen wollen«, erklärt Prof. Dr. Rainer Fischer, Institutsleiter am IME in Aachen. »Wir investieren in dieses vielversprechende Materialentwicklungs- und Erzeugungs-Projekt, weil wir überzeugt davon sind, dass wir dadurch unsere Reifenproduktion langfristig weiter verbessern können«, sagt Nikolai Setzer, der im Continental-Vorstand für die Division Reifen verantwortlich ist. »Denn die Kautschuk-Gewinnung aus der Pusteblumenwurzel ist deutlich wetterunabhängiger möglich als die vom Gummibaum und eröffnet aufgrund ihrer agrarischen Anspruchslosigkeit ganz neue Potentiale – insbesondere für heute brachliegende Anbauflächen. Durch den Anbau in viel kürzerer Entfernung zu unseren Produktionsstandorten würden wir darüber hinaus in nennenswertem Umfang sowohl die Umweltbelastung als auch den Logistikaufwand senken. Dieses Entwicklungsprojekt zeigt eindrucksvoll, dass wir hinsichtlich Materialentwicklung noch lange nicht am Ende unserer Möglichkeiten angekommen sind.« »Wir haben uns in den letzten Jahren ein großes Know-how in Sachen Löwenzahnzüchtung aufgebaut. Mit Hilfe von DNA-Markern wissen wir nun, welches Gen für welches molekulare Merkmal verantwortlich ist. Die Züchtung von besonders ertragreichen Pflanzen ist so wesentlich effizienter möglich«, beschreibt Projektleiter Prof. Dr. Dirk Prüfer die Forschungsarbeiten am Münsteraner Standort des IME. Dort konnten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nachweisen, dass der aus Löwenzahn gewonnene Kautschuk dieselbe Qualität hat wie sein Pendant aus dem Gummibaum. Das Team um Prof. Prüfer sammelte erstmals umfangreiches Datenmaterial zu einzelnen Sorten, zu deren Kautschukgehalt und zu den biologischen Mechanismen der Herstellung. Mit Hilfe dieses Wissens gelang es ihnen Sorten zu züchten, die besonders ertragreich, robust und einfach anzubauen sind. »Die größte Herausforderung war, das Wildkraut in eine Nutzpflanze zu verwandeln. Mittlerweile weisen einige unserer Sorten einen deutlich gesteigerten Kautschukgehalt auf. Diese werden wir jetzt noch weiter stabilisieren«, schildert Prof. Prüfer. Zur Produktion lässt sich ausschließlich die russische Variante unserer heimischen Pflanze verwenden. Nur diese Art weist Kautschuk in großen Mengen in ihrem weißen Latexsaft auf. In der »Pusteblume« steckt enormes Potenzial. Gegenüber dem Gummibaum hat sie drei entscheidende Vorteile: Ihre Vegetationsperiode dauert nicht mehrere Jahre, sondern nur ein Jahr. Danach können die Pflanzen sofort geerntet und weiter optimiert werden. Gleichzeitig ist sie weniger anfällig für Schädlinge. Und schließlich benötigt sie kein subtropisches Klima und kann auf heimischen Äckern angepflanzt werden. »Mit der neuen Technologie können wir einen nachhaltigen Vorsprung für die deutsche Automobilindustrie erreichen. Zum einen macht sie die heimische Wirtschaft unabhängiger von Rohstoffimporten. Zum anderen reduziert sie die Transportwege und verbessert so die CO2-Bilanz«, beschreibt Prof. Dr.-Ing. Reimund Neugebauer, Präsident der Fraunhofer-Gesellschaft, das Ziel und die wesentlichen Vorteile der Kooperation. Quelle: idw/Fraunhofer IME