Eingeladen zum Kongress hatte das Netzwerk für nachhaltige chemische und biotechnologische Produktionsprozesse „Chembiotech“. Seit 2006 haben die an dem Netzwerk beteiligten Akteure in mehr als 200 Einzelprojekten aufwendige chemische Produktionsschritte durch biotechnologische Prozesse ersetzt. Konsequent wurde dabei für jedes einzelne Vorhaben eine Ökoeffizienzanalyse angefertigt – damit ist Chembiotech zu einem echten Vorreiter geworden, in keinem anderen Verbund wurden Nachhaltigkeitsanalysen bisher ähnlich stark in den Projektablauf integriert. Etwas mehr als sechs Jahre nach Beginn ihres Engagements lässt die Deutsche Bundesstiftung Umwelt (DBU) ihre finanzielle Förderung von Chembiotech nun auslaufen. Bei dem Symposium „Biotrends 2012 – Nachhaltige Industrielle Biokatalyse“ am 29. und 30. November zeigte sich, wie wertvoll Nachhaltigkeitsanalysen bei der Beurteilung von Änderungen an der Prozessführung sein können. Wahl der Messgrößen entscheidend Dabei ist es gar nicht so einfach, jeweils genau die richtigen Messgrößen zu finden. Um sich einen ersten Überblick zu verschaffen, können sogenannte Green Chemistry Metrics helfen. Das sind Berechnungen, die nur die während eines Prozesses ablaufenden chemischen Reaktionen betrachten, berichtete John Woodley von der Technischen Universität Dänemark. Beispielsweise wird dabei das Molekulargewicht des Produkts verglichen mit den Massen der Rohstoffe. Je sauberer eine Reaktion auf molekularer Ebene abläuft, umso weniger Müll fällt auch im realen Leben an. Indem ein Verhältnis zwischen den Kohlenstoff-Atomen im Produkt und in den Ausgangsstoffen gebildet wird, lässt sich auch ein CO2-Fußabdruck eines Prozesses abschätzen. Der Vorteil solcher Maße liege auf der Hand: Sie lassen sich ohne großen Aufwand berechnen und vermitteln zumindest eine ungefähre Vorstellung von der Nachhaltigkeit eines Prozesses. Produkt wird von der Wiege bis zur Bahre analysiert Um sich ein genaues Bild von der Lage zu machen, greifen die Experten aber auf komplexe Rechenmodelle zurück: Bei der Ökoeffizienzanalyse werden so zwei Verfahren einander gegenübergestellt: Wo fällt mehr Müll an, wo wird weniger Energie verbraucht, welches Verfahren spart wie viel Geld? Bei sogenannten Lebenszyklusanalysen soll ein Produkt möglichst umfassend betrachtet werden. Dabei werden sowohl ökologische, ökonomische als auch soziale Aspekte „von der Wiege bis zur Bahre“, also dem Anbau der Rohstoffe bis zur Entsorgung des Produkts analysiert. Der mit einer solchen Analyse verbundene Aufwand ist erheblich, schließlich müssen unter Umständen nicht nur Daten aus dem eigenen Unternehmen, sondern auch von den Zulieferen oder öffentlichen Stellen besorgt werden. „Mit unserem Analysemodell fragen wir Daten zu mehr als 200 Messgrößen ab, um 69 verschiedene Indikatoren zu berechnen“, verdeutlicht Peter Saling von BASF den Aufwand. Seit 2002 arbeitet der Chemiekonzern gemeinsam mit den Universitäten Karlsruhe und Jena und dem Ökoinstitut e.V. an der Software „Seebalance“. In den ersten Jahren wurde das Projekt im Rahmen des Verbundvorhabens Nachhaltige Aromatenchemie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert. Inzwischen ist es so ausgereift, dass BASF sogar externen Kunden eine Analyse mit Seebalance anbietet. Biotechnologie führt zu Paradigmenwechsel in der Wirtschaft „Häufig waren Firmen erstaunt, wie viel sie mit vergleichsweise geringen Investitionen sparen konnten“, erinnert sich Stefanie Heiden, Professorin an der Universität Osnabrück, an die Anfangszeit von Chembiotech. Im Jahr 2006 betreute sie noch bei der DBU den Biotechnologie-Bereich und hatte die Förderung für Chembiotech mit angeschoben. Heiden ist davon überzeugt, dass die Biotechnologie im Kampf gegen den Klimawandel ein unverzichtbares Hilfsmittel ist. Einige Experten sehen in der Umstellung von chemischen auf biotechnologische Verfahren die Basis für eine grundlegende Neuausrichtung der Wirtschaft und sprechen in diesem Zusammenhang schon von einem grünen Kondratiew-Zyklus. Der russische Wirtschaftswissenschaftler Nikolai Kondratiew beobachtete in den 1930er Jahren, dass die Weltwirtschaft einem bestimmten Muster von Auf- und Abschwüngen folgt. Die 40 bis 60 Jahre dauernden Wellen bestehen aus einer länger andauernden Aufstiegsphase und einer etwas kürzeren Abstiegsphase. In den Zeiten geringen Wachstums legen sogenannte Basisinnovationen die Grundlage für einen neuen Aufschwung, zum Beispiel die Entwicklung von Autos und petrochemischen Produkten für den vierten Zyklus (ca. 1940 – 1980) oder die rasante Verbreitung von Kommunikations- und Informationstechnologien im fünften Zyklus (ca. ab 1980). Behält Kondratiew recht, so stünde die Weltwirtschaft jetzt an der Schwelle zu einem sechsten Zyklus. Geht es nach den in Dortmund versammelten Experten, soll die Biotechnologie die Basisinnovationen dafür liefern. Quelle: biotechnologie.de/bk