Abkehr von der Erdölchemie – mit einem Prinzip der Natur
Pflanzen machen es vor: Aus dem Kohlendioxid (CO2) der Atmosphäre können sie viele chemische Substanzen aufbauen. Über elektrochemische Reaktionen wäre dies ebenso möglich. Doch in der Industrie hat niemand diese Idee bis heute ernsthaft verfolgt, denn die zugrunde liegenden Reaktionen benötigen viel Energie. Mit der Energiewende und der wetterabhängigen dezentralen Stromerzeugung steht schon bald kostengünstiger und CO2-arm erzeugter Strom bereit. Damit wird es möglich, chemische Produkte zu erzeugen, für die heute noch Erdöl verbraucht wird.
Fraunhofer: Vollsortimenter für elektrochemische Dienstleistungen
Die Energiewende und der mit ihr anfallende regenerative Strom bieten die Chance, eine stromgeführte Produktion aufzubauen. Zehn Fraunhofer-Institute, koordiniert von Fraunhofer UMSICHT, haben sich zusammengetan, um den Grundstein dafür zu legen und die Elektrochemie als Technologieplattform und Exportartikel zu entwickeln. Ziele sind die Entwicklung neuer elektrochemischer Verfahren sowie deren technische Demonstration und Einkopplung in das deutsche Energiesystem. Die Institute wollen dauerhaft im Markt etablierte Verwertungsketten aufbauen, sodass Fraunhofer in etwa zehn Jahren als »Vollsortimenter für elektrochemische Forschung und Entwicklung« auftritt. Das Fraunhofer-Leitprojekt »Strom als Rohstoff« vereint zehn Fraunhofer-Institute unter Federführung von Fraunhofer UMSICHT. Sie wollen Verfahren entwickeln und optimieren, mit denen CO2-arm erzeugter Strom genutzt werden kann, um wichtige Basischemikalien zu synthetisieren.
Ethen und Alkohole als Basischemikalien
Im Fokus steht dabei nicht die Erzeugung von Methan als Treib- oder Brennstoff, bekannt unter dem Schlagwort »Power-to-Gas«. Zwar wird auch diese Stoßrichtung von Fraunhofer-Instituten verfolgt, doch im Leitprojekt geht es um die Synthese von Chemikalien, deren Preis höher ist als jener von Erdgas. Damit wäre die Technologie auch schneller marktrelevant. Die hergestellten Stoffe sollen sich als Basischemikalien in die vorhandenen Produktionsstrukturen der chemischen Industrie integrieren lassen. Die kooperierenden Institute wollen daher mit der elektrochemischen Herstellung von Ethen sowie verschiedenen Alkoholen beginnen. Ethen hat enorme Bedeutung als Ausgangsstoff für Polyethylene. Aus kurzkettigen Alkoholen lassen sich eine Vielzahl organischer Chemikalien herstellen; höhere Alkohole sind relativ hochpreisige Grundstoffe, aus denen unter anderem Ester und Acrylate synthetisiert werden.
Zwei Syntheserouten: CO2-Konversion und Wasserstoffperoxid
CO2 muss aber nicht immer der Ausgangsstoff sein: Eine Arbeitsgruppe plant nach dem gleichen Prinzip die dezentrale Herstellung von Wasserstoffperoxid (H2O2) aus Sauerstoff und Wasserstoff. H2O2 ist ein umweltfreundliches und etwa bei der Zellstoff- und Papierbleiche viel genutztes Oxidationsmittel.
Bedeutung und Ausblick
Prognosen besagen, dass sowohl der Anteil erneuerbarer Energien im deutschen Stromsystem als auch die Menge an Überschussstrom spätestens in 15 Jahren bedeutend angestiegen sein werden. Daraus folgt, dass Strom demnächst wesentlich CO2-ärmer und kostengünstiger produziert wird. Damit kann die Produktion der Zukunft viel stärker als heute auf »Strom als Rohstoff« setzen, um Beiträge zu Nachhaltigkeitszielen zu erreichen. Die wirtschaftliche Bedeutung des Ansatzes betont Professor Eckhard Weidner: »Experten analysieren, dass die Energiewende auch in Einklang mit den Anforderungen energieintensiver Industrien gebracht werden muss, um langfristig ein stabiles Wachstum zu ermöglichen. Es muss also gelingen, das Energiesystem auch mit chemischen Produktionssystemen zu koppeln. Elektrochemische Verfahren bilden als Enabling Technologies die technologische Basis für diese Systemkopplung.« Das Fraunhofer-Bündnis hat sich bereits Gedanken über die nachhaltige Verwertung seiner Ergebnisse gemacht. Die Institute wollen eine eigene Verwertungsplattform für alle Innovationsprozesse im Markt aufbauen, sodass Fraunhofer in etwa zehn Jahren als Vollsortimenter für elektrochemische Forschung und Entwicklung auftritt. Sie haben bereits Kontakte zu Unternehmen der Schlüsselbranchen und konzipieren den Dialog mit der Öffentlichkeit. Das Leitprojekt Strom als Rohstoff dauert drei Jahre. Quelle: umsicht.fraunhofer.de