Chemieindustrie und Nachhaltigkeit: Eine explosive Mischung
15.10.2012
Der Chemieindustrie wird häufig eine Schlüsselrolle bei der Erreichung einer nachhaltigen Wirtschaft zugewiesen. Das aktuelle Branchenrating von oekom research belegt, dass die Chemieunternehmen dieser Verantwortung bisher nur in Ansätzen gerecht werden. Fortschritten beim Klimaschutz und der Anlagensicherheit stehen Defizite bei der Chemikalien- und Produktsicherheit sowie bei Einsatz und Beschaffung nachwachsender Rohstoffe gegenüber. Nur 21 der insgesamt 101 analysierten Chemieunternehmen (21 Prozent) aus 25 Ländern erfüllten die Zulassungsvoraussetzungen für ein detailliertes Rating, lediglich fünf (4,9 Prozent) von ihnen zeigten so viel Engagement für eine nachhaltige Entwicklung, dass sie mit dem oekom Prime Status ausgezeichnet wurden. Er wird an Unternehmen vergeben, die die von oekom research definierten Mindeststandards an das Nachhaltigkeitsmanagement erfüllen. Mit einem B auf der von A+ (Bestnote) bis D- reichenden Skala erreicht das deutsche Gase- und Engineeringunternehmen Linde [Linde Engineering Dresden GmbH ist Netzwerkmitglied] die beste Note. Auf den weiteren Plätzen folgen Akzo Nobel (NL) und BASF (DE), die beide ein B- erreichen. Der steigende Öl- und Benzinpreis stellt nicht nur Autofahrer und Hausbesitzer vor Herausforderungen, auch die Chemieindustrie, in der viele Produkte auf Erdöl basieren, sucht nach Alternativen. Dabei kommen vermehrt nachwachsende Rohstoffe zum Einsatz, beispielsweise Stärke, Zucker oder Cellulose in der Produktion von Kunststoffen. Insgesamt liegt der Marktanteil chemischer Grundstoffe, die auf Basis nachwachsender Rohstoffe produziert werden, weltweit bei lediglich acht Prozent, die Aktivitäten der Unternehmen sind hier noch sehr punktuell. Dies gilt auch für die Maßnahmen der Unternehmen, entsprechende Rohstoffe nur aus nachhaltigem Anbau zu beziehen. Dabei sind die Probleme der konventionellen Rohstoffe – etwa die illegale Abholzung von Regenwald für die Palmölproduktion oder die negativen Auswirkungen von Monokulturen auf Artenvielfalt und Wasserhaushalt – bereits seit Jahren bekannt. „Nur sehr wenige der analysierten Chemieunternehmen, etwa die brasilianische Braskem sowie Akzo Nobel und Symrise, zeigen hier erste Ansätze, soziale und ökologische Kriterien bei der Beschaffung zu berücksichtigen,“ erläutert Oliver Rüter, branchenverantwortlicher Analyst bei oekom research, die aktuelle Situation. Auch die Energiegewinnung für die häufig energieintensiven Produktionsprozesse der Chemischen Industrie basiert in der Regel noch auf Öl oder anderen fossilen Energieträgern. Die Chemieindustrie ist einer der Hauptemittenten von Treibhausgasen wie CO2. Rund 22 Prozent der Emissionen der Industrie entfallen auf die Chemie und die Petrochemie. Bei der Emissionsminderung durch die Erhöhung der Energieeffizienz hat die Chemische Industrie insgesamt Fortschritte gemacht. „Vor allem die großen Chemiekonzerne haben oft umfassende Klimaschutzstrategien eingeführt. Diese beinhalten klare Reduktionsziele und umfangreiche Maßnahmen zu deren Erreichung,“ so Rüter. Verbesserungsbedarf gibt es allerdings oft noch bei der Analyse und Darstellung der unternehmerischen Risiken, die sich aus dem Klimawandel ergeben können. Diese Informationen sind gerade für die Investoren von großer Bedeutung. Fortschritte sieht oekom research auch bei der Anlagen- und Arbeitssicherheit. So sind umfassende Managementsysteme zur Einhaltung und Förderung der Sicherheit am Arbeitsplatz zumindest in den Industrieländern in fast allen Unternehmen verankert. Dies hat in vielen Unternehmen zu einem Rückgang der Zahl von Arbeitsunfällen geführt. Häufig bleibt allerdings unklar, ob die von den Unternehmen beschriebenen Maßnahmen nur für die Werke in den Industrieländern gelten oder auch auf eigene Fertigungsstätten bzw. Werke von Zulieferern in Schwellenländern übertragen werden. Schwere Störfälle in der jüngeren Vergangenheit, beispielsweise bei Bayer in den USA oder DSM in Taiwan, zeigen zudem, dass kontinuierlich weiter an der Steigerung der Anlagen- und Transportsicherheit gearbeitet werden muss. Weniger positiv stellt sich die Situation bei der Chemikalien- und Produktsicherheit dar. Jedes Jahr bringt die Chemiebranche zahlreiche neue chemische Verbindungen und Produkte auf den Markt. Nur ein geringer Teil der am Markt verfügbaren Chemikalien wurde umfassend auf die mit ihnen verbundenen Risiken analysiert. „Wir sehen die Unternehmen in der Verantwortung, die Auswirkungen ihrer Produkte über den gesamten Lebenszyklus zu erfassen und zu bewerten,“ so Rüter. Dieser umfasst neben der Produktion und Nutzung der Produkte auch die Beschaffung der Rohstoffe und die Entsorgung. Obwohl ein Großteil der Unternehmen von Risikoanalysen und toxischen Tests berichtet, herrscht über deren Inhalt und Umfang zu wenig Transparenz. Auch bei der Substitution besonders gefährlicher Substanzen in bestehenden Produkten und dem umweltverträglichen Design neuer Produkte steht die Branche noch weitgehend am Anfang. Besonders kritisch sind dabei kanzerogene, mutagene und reproduktionstoxische sowie andere problematische Stoffe wie Phtalate oder Bisphenol A zu betrachten. Insgesamt wird nach Einschätzung von oekom research der Druck auf die Chemiebranche zunehmen, bei Produktionsprozessen und Produkten stärker als bisher soziale und ökologische Aspekte zu beachten. Oliver Rüter: „Gerade die Industriekunden der Chemieunternehmen werden zukünftig verstärkt darauf achten, die eigene Umwelt- und Klimabilanz nicht durch den Bezug in dieser Hinsicht kritischer Chemieprodukte zu belasten.“ Über oekom research — die Rating-Agentur Die oekom research AG zählt zu den weltweit führenden Rating-Agenturen im Bereich des nachhaltigen Investments. Die Agentur analysiert Unternehmen und Länder hinsichtlich ihrer ökologischen und sozialen Performance. Als erfahrener Partner von institutionellen Investoren und Finanzdienstleistern identifiziert oekom research diejenigen Emittenten von Aktien und Rentenpapieren, die sich durch ein verantwortungsvolles Wirtschaften gegenüber Gesellschaft und Umwelt auszeichnen. Mehr als 75 Asset Manager und Asset Owner beziehen das Research der Rating-Agentur regelmäßig in ihre Anlageentscheidungen ein. Die Analysen von oekom research beeinflussen dadurch aktuell rund 140 Milliarden Euro Assets under Management. Weitere Informationen erhalten Sie bei: oekom research AG, Rolf D. Häßler, Leiter Unternehmenskommunikation Goethestraße 28, 80336 München Fon: +49 – 89-544184 – 57, Fax: ‑99 rolf.haessler@oekom-research.com Quelle: oekom research AG