Schlüsselmechanismus zur Gewinnung biotechnologisch nutzbarer Verbindungen aus Braunalgen

Jedes Jahr werden tausende Tonnen Braunalgen vom Meeresboden geerntet, um Verbindungen wie Alginat zu gewinnen – ein Polymer aus Zuckerbausteinen, das aufgrund seiner hohen Dichte und Festigkeit vielversprechende biotechnologische Anwendungsmöglichkeiten bietet. Ein internationales Forschungsteam unter der Leitung der Universität Barcelona hat nun den Mechanismus entschlüsselt, durch den ein Enzym namens Alginat-Lyase (AL) in der Lage ist, diese marinen Biomaterialien abzubauen. Dieser Prozess ermöglicht es, Alginat als Träger für Arzneimittel, Zusatzstoffe oder Verdickungsmittel zu nutzen. Die Ergebnisse, die in Nature Communications veröffentlicht wurden, bieten wertvolle Erkenntnisse für die Entwicklung und das Design neuer, „maßgeschneiderter Alginate“ für spezifische Anwendungen, insbesondere in der Lebensmittel- und Biomedizinbranche.
Trotz der großen Vorkommen von Alginaten in der marinen Umwelt ist ihr Potenzial, insbesondere im biomedizinischen Sektor, aufgrund der Inhomogenität ihrer natürlichen Zusammensetzung stark begrenzt. Sie enthalten oft eine Mischung aus Mannuronsäure- und Guluronsäurezuckern in unterschiedlichen Verhältnissen. Das Verständnis des Mechanismus, durch den AL-Enzyme gezielt die Bindungen zwischen den Mannuronsäure-Zuckern in diesem Polymer aufbrechen, wird helfen, diese Einschränkungen zu überwinden. „Die Ergebnisse bilden die Grundlage für die gezielte Manipulation dieser Enzyme und die Entwicklung von Varianten mit verbesserten katalytischen Eigenschaften und höherer Effizienz im großtechnischen Maßstab.“
„Durch den Einsatz industrieller Verfahren und Bioprozesse wird es möglich sein, die Herstellung maßgeschneiderter Alginate in ausreichenden Mengen zu optimieren, um den Bedarf der Gesellschaft zu decken“, erklären die Forschenden.
Diese Erkenntnisse werden außerdem eine „effizientere Nutzung natürlicher Ressourcen ermöglichen und die grüne Wirtschaft fördern, indem Enzyme als zentrale Werkzeuge in der Produktion dieser Alginate eingesetzt werden“, so die Autorinnen und Autoren weiter.
Computergestützte Analyse mit dem Supercomputer MareNostrum 5
Ein zentraler Bestandteil der Studie war die computergestützte Untersuchung des Wirkmechanismus der Enzyme. Als Grundlage dienten dabei die von den DTU-Partnern ermittelten dreidimensionalen Strukturen des AL-Enzyms in Wechselwirkung mit verschiedenen Alginat-Varianten. Auf Basis dieser Strukturen führte das Forschungsteam der Universität Barcelona mithilfe des Hochleistungsrechners MareNostrum 5 am Barcelona Supercomputing Center — Centro Nacional de Supercomputación (BSC-CNS) detaillierte Molekulardynamik-Simulationen durch. Dabei kamen multiskalige Methoden aus der Quantenmechanik und Molekularmechanik zum Einsatz, um die chemischen Reaktionen beim Abbau von Alginaten auf atomarer Ebene präzise zu modellieren und zu analysieren.
Diese Simulationen konnten bisherige wissenschaftliche Unklarheiten über die Anzahl der Reaktionsschritte ausräumen: Sie belegen, dass der Abbauprozess in einem einzigen Schritt erfolgt und dass die Spaltung des Polymers in der Mitte stattfindet – nicht an einem der Enden. Zudem wurde der Übergangszustand, also die energetisch höchste Konfiguration während der Reaktion, als stark negativ geladene Spezies identifiziert. „Diese Entdeckung eröffnet die Möglichkeit, den genauen Spaltpunkt im Polymer gezielt zu beeinflussen – etwa durch gezielte Mutationen bestimmter Aminosäuren im aktiven Zentrum des Enzyms“, erläutern die Forschenden.
Besonders relevant ist auch, dass die untersuchten Enzyme zur Familie 7 der Lyasen gehören – der bislang am weitesten verbreiteten Enzymklasse dieser Art. Dadurch lassen sich die gewonnenen Erkenntnisse auf viele weitere Enzyme mit großem biotechnologischen Potenzial übertragen.
Darüber hinaus ermöglichen die Ergebnisse die gezielte Identifikation von Schlüsselaspekten – insbesondere Aminosäureresten –, an denen gezielt angesetzt werden kann, um die Effizienz dieser Enzyme weiter zu steigern. An genau diesem vielversprechenden Ansatz arbeitet das Team der Universität Barcelona bereits intensiv weiter.
Darüber hinaus liefern die Ergebnisse neue Einblicke in die chemische Umwandlung von Alginat während seines Abbaus – ein entscheidender Schritt für die Entwicklung molekularer Sonden, die bisher unbekannte Alginat-Lyasen gezielt erkennen und isolieren können. An genau solchen Sonden arbeiten die Forschenden der Universität Barcelona derzeit, mit dem Ziel, neue Enzyme zu identifizieren, die spezifisch auf Kohlenhydrate wirken.
Die Studie ist eingebettet in das Projekt Carbocentre, das im Rahmen eines Synergy Grants des Europäischen Forschungsrats (ERC) gefördert wird. Diese Förderlinie zählt zu den angesehensten in Europa und unterstützt exzellente Forschungsteams, die gemeinsam zentrale wissenschaftliche Fragestellungen von großer gesellschaftlicher Relevanz bearbeiten.
Die Originalpublikation finden Sie hier.
Das Team der Universität Barcelona (UB) besteht aus José Pablo Rivas-Fernández, dem Erstautor des Artikels, und Carme Rovira, ICREA-Forschungsprofessorin, beide von der Fakultät für Chemie der UB und dem Institut für Theoretische und Computergestützte Chemie (IQTCUB) der UB. In Zusammenarbeit mit Casper Wilkens, Biotechnologen an der Technischen Universität Dänemark (DTU), wurde die Forschung durchgeführt. Auch Experten der Norwegischen Universität für Wissenschaft und Technik (NTNU) sowie der North Carolina State University (USA) waren an der Studie beteiligt.