Schneealgen, kälteangepasste Extremophile der Polarregionen
18.02.2014
In 2013 brach ein Team aus fünf Experten, darunter Biophysiker, Geologen und Pflanzenphysiologen zu einer Expedition nach Spitzbergen auf. Entlang der Nordküste Spitzbergens hat das Expeditionsteam unter Leitung des Institutsdirektors, Prof. Dr. Günter Fuhr, neue und bekannte Schneealgenarten in die Laborforschung überführt, sie genetisch und physiologisch charakterisiert und ermöglicht so eine wissenschaftliche wie biotechnologische Nutzung. Am Fraunhofer IBMT befindet sich eine der weltweit umfangreichsten Schneealgensammlungen (CCCryo) mit über 370 Isolaten aus 125 Arten. Diese meist einzelligen Algen sind in vielerlei Hinsicht interessant, einmal, weil sie sich hervorragend bei Temperaturen um den Gefrierpunkt vermehren und damit in den Übergangsjahreszeiten eine Lücke in der deutschen Algenzucht überbrücken könnten. Des Weiteren, weil sie Farbstoffe produzieren, Gele absondern, aber auch eisstrukturierende Proteine exprimieren, die von breiter wirtschaftlicher Bedeutung für die Pharma- und Kosmetikindustrie sind. Die kälteangepassten Mikroalgen, das »Objekt der wissenschaftlichen Begierde«, sind Überlebenskünstler und als solche hervorragend an die sie umgebenden, extremen Umweltverhältnisse der ewigen Schnee- und Eisgebiete angepasst. So hat sich z. B. ihr Enzymhaushalt an Temperaturen um 0 °C adaptiert, sie tolerieren wechselnde Nährstoff- und Lichtverhältnisse und produzieren spezielle Proteine, mit denen sie die Eiskristalle in ihrer zellnahen Umgebung modifizieren. Als augenscheinlichstes Merkmal bringen sie jedoch zum Ende des Polarsommers Dauerformen hervor, die durch einen reduzierten Stoffwechsel, verdickte Zellwände und die Synthese besonderer Sekundärpigmente extrem widerstandsfähig sind. Bei einem der Pigmente handelt es sich um das Ketocarotinoid Astaxanthin, das durch seine blutrote Farbe den Schneealgenblüten die Bezeichnung »Roter Schnee« oder unter den frühen Seefahrern den Namen »Blutschnee« einbrachte. Erst unter den günstigen Bedingungen des Frühsommers des nächsten Jahres wandeln sich diese Dauerformen erneut in ihre vegetativ vermehrungsfähige grüne Form um und setzen als »Grüner Schnee« ihr Wachstum fort. Mit der »Culture Collection of Cryophilic Algae – CCCryo« (www.cccryo.fraunhofer.de), die seit 1999 existiert, steht seit dem Jahr 2010 diese Sammlung kryophiler Schneealgen auch der breiten Forschergemeinschaft an öffentlichen und industriellen Institutionen als eine einzigartige Bioressource zur Verfügung. Ziel ist es, aus dem Studium der Biologie dieser extremophilen Mikroalgen im Rahmen weiterer biotechnologischer Forschung industrielle Produkte zu entwickeln. Neben Mikroalgen wird die Sammlung mehr und mehr mit Cyanobakterien und Moosen aus den polaren Regionen erweitert, die ähnliche Anpassungen aufweisen. In mehreren Kooperationsprojekten wird die Eignung dieser Algen für eine Massenproduktion in Photobioreaktoranlagen untersucht. Seit einigen Jahren besteht dazu eine industrielle Kooperation, in deren Rahmen Schneealgenstämme für die Verwendung in Kosmetika in eigens dafür am Fraunhofer IBMT entwickelten Photobioreaktoren produziert werden. Ein nächstes Ziel der Arbeitsgruppe stellt die industrielle Produktion ungesättigter Fettsäuren über Schneealgen dar. Quelle: Fraunhofer IBMT