Als einstige Montan- und Bergbauregion hat Nordrhein-Westfalen ausreichend Erfahrung mit der Organisation eines Strukturwandels. Nun will das Land wieder Vorreiter sein. So ist NRW als eines von wenigen Bundesländern dabei, unabhängig von der Bundespolitik eine eigene Bioökonomie-Strategie auf den Weg zu bringen. In Oberhausen berichtete Doris Schnabel, Abteilungsleiterin im NRW-Wirtschaftsministerium, über die Strategie, nachhaltige und vor allem zukunftsfähige Wertschöpfungsketten zu etablieren. Gemeinsam wollen Landwirtschaft, Start-ups aus der Biotechnologie, Medizintechnik-Unternehmen, Chemie- und Pharmakonzerne sowie Forschungseinrichtungen „Raffinierte Lösungen“ auf den Weg bringen.
Petrochemie bleibt auch weiterhin Konkurrent
Klar wurde in Oberhausen: Effizienz ist Trumpf – biologische Prozesse müssen eines Tages nicht nur nachhaltig, sondern auch genauso wirtschaftlich wie fossil basierte Verfahren sein. Dank der in manchen Ländern boomenden Schiefergasförderung, dem „Fracking“, ist kein Ende der Versorgung mit fossilen Rohstoffen in Sicht. Entgegen früherer Annahmen bleibt die Petrochemie der Bioökonomie noch lange als wirtschaftlicher Benchmark erhalten. Die industriellen Nutzer von Öl und Gas haben in jahrzehntelanger Weiterentwicklung geschafft, wovon die Verfechter biologischer Prozesse heute träumen: eine vollständige, fast rückstandsfreie Verwertung der fossilen Rohstoffe. Es gibt also Nachholbedarf.
Stroh im Dampfkocher zerlegt
Lösungen für effiziente biologische Prozesse wurden in Oberhausen präsentiert. So stellte Christian Kirsch von der TU Hamburg-Harburg einen Prozess vor, mit dem pflanzliches Material in einer Art Dampfkochtopf aufgeschlossen werden kann. Bei 200 Grad Celsius, dreißigfachem Atmosphärendruck und leicht saurem pH-Wert (5,2) zerlegen die Forscher Stroh innerhalb von 48 Stunden in seine Hauptbestandteile Cellulose, Hemicellulose und Lignin. Letzteres enthält zwar viele wertvolle Verbindungen, die als chemische Synthesebausteine genutzt werden könnten, ist aber äußerst stabil. Diesen chemische Schätze zu entlocken, ist eine große Herausforderung. Auch die heutige Nutzung lässt die dreidimensionale Ligninstruktur intakt. Das hochkomplexe Makromolekül wird zu natürlichen, zähflüssigen Aerogelen verarbeitet, die unter anderem in der regenerativen Medizin Anwendung finden. In Cellulose und Hemicellulose ist die Zuckerstruktur praktischerweise schon angelegt. Aus Cellulose wird Glucose und schließlich Alkohol, der als Treibstoff genutzt werden kann. Die Hemicellulose hingegen kann über den Umweg der Xylose zu Xylitol verarbeitet werden, das als karieshemmender Zuckeraustauschstoff gebraucht wird.
Altes Brot zu neuen Verpackungen
„Biobasierte Chemikalien sind jedoch nicht in jedem Fall besser als konventionell erzeugte“, dämpfte Nils Rettenmeier vom Heidelberger ifeu-Institut die Erwartungen. So hätten viele Bioraffinerien – noch – eine negative Klimabilanz. Zudem gebe es über den Teller-Tank-Effekt ernstzunehmende Zielkonflikte. Im Fall von Holz und Stroh ist das jedoch kein Thema – diese Reststoffe sind für den Menschen nicht essbar. Genauso wie altes Brot. Das vergärt Joachim Venus vom Leibniz-Institut für Agrartechnik (ATB) in Potsdam zu Milchsäure, aus der Polylactid hergestellt werden kann — ein Kunststoff, aus dem Verpackungen entstehen werden können. Gut möglich also, dass demnächst frisches Brot in altem verpackt wird. So unstrittig die stoffliche Nutzung von Biomasse, so umstritten ist deren energetische Verwendung. Um die ging es am zweiten Tag der Veranstaltung. Teilweise auf überraschenden Wegen. Axel Ingendoh präsentierte eine Erfindung der Inachem GmbH: den Citrodiesel. Aus pflanzlicher Stärke hergestellt, kann der frisch riechende und ungiftige Citronensäureester konventionellem Diesel zugesetzt werden. Das Ergebnis: eine starke Reduktion von Rußpartikeln.
Auf dem Feld gepresst
Ein Knackpunkt in der Biotreibstoffbranche: Der Transportprozess muss so organisiert sein, dass während der Lieferung und Lagerung keine Kontaminationen auftreten können. Zuletzt muss sich der Einsatz des Biotreibstoffs über den gesamten Prozess auch noch wirtschaftlich rechnen. In diesem Punkt macht vor allem der hohe Wassergehalt der energetischen Nutzung einen Strich durch die Rechnung. Kommt das Stroh oder Holz feucht von Acker oder Forst, so gehen rund 80 Prozent der Transportenergie dafür drauf, Wasser durch die Gegend zu kutschieren. Das Fraunhofer Institut in Oberhausen führt daher gemeinsam mit dem Landmaschinenhersteller Claas ein Projekt durch, in dem eine Landmaschine entwickelt wird, die Stroh direkt auf dem Feld pressen und anschließend in einem komplizierten Prozess verkohlen kann. Das Ergebnis sind wasserfreie kohleartige Rückstände und ein sogenanntes Pyrolyseöl, das viele wichtige Bestandteile der Biomasse enthält. Dieses könnte schließlich ohne Energieverlust in eine Bioraffinerie eingeliefert und hier stofflich oder energetisch genutzt werden. Und zwar ohne die Anwesenheit von Wasser. Quelle: biotechnologie.de